Viele Eurovisionsfans sind schwul. Ich bin das nicht, da ich eine Frau bin. Als solche bin ich immer noch, oder gerade, empfänglich für die weibliche Schönheit, aber auch prädestiniert, eine Schablone auszufüllen, die den meisten Männern, auch den Schwulen, versagt bleibt: Die des Fangirls. Das heißt aber nicht, daß ich in der Welt des Mainstreams und der Bravoposter lebe - ich vergebe meine Fangirlschaft nur an auserwählte Individuen, dafür dauerhaft. Auf meiner Liste stehen verschiedene Schauspieler, von denen einer sogar noch am Leben ist, aber noch nie ESC-Teilnehmer. Bis jetzt: Ich erkläre mich zum Fangirl einer Sängerin, die, wenn alles den richtigen Weg geht, unsere Vertreterin in Oslo sein wird. Die Rede ist, natürlich, von Lena Meyer-Landrut.
Seit ich sie in der ersten Sendung gesehen habe, weiß ich, daß sie Deutschland vertreten muß. Jetzt bin ich natürlich nicht die einzige, die sie als Favoritin betrachtet, aber es liegt mir fern, einfach nur mit den Wölfen heulen zu wollen. Ich mag Lena wegen dieses besonderen Charismas, das sie auf der Bühne verströmt, und dieser speziellen Note des total Bescheuerten, das mich sofort an Renars Kaupers hyperaktives My Star erinnert hat - und jetzt, zehn Jahre später, braucht die Eurovisionsbühne wieder so jemanden. Und Bedenken, wie sie verschiedentlich in Blogs geäußert wurden, Lena ließe sich nicht hinreichend auf Mainstream bürsten... Ja was denkt ihr denn? Mainstream? Was soll Lena denn mit Mainstream? Soll sie den gleichen Müll machen wie alle anderen? Nein, das Problem sehe ich an einer anderen Stelle: Nämlich, für Lena ein passendes Nicht-Mainstream-Lied aus dem Hut zu zaubern, das sie genauso überzeugend vertreten kann wie die Stücke, die sie bis jetzt gebracht hat.
Mit dem passenden unkonventionellen Lied, mit diesem unbändigen Vergnügen, das Lena auf der Bühne verbreitet, kann und wird sie in Oslo den nötigen Eindruck hinterlassen. Mag sein, daß Christian Durstewitz das größere musikalische Talent hat, wenn es um das Gesamtpaket geht. Er schreibt verdammt gute Lieder, spielt gut Gitarre, seinen Gesang halte ich aber eher für durchschnittlich, und sein Aussehen ist nicht meines - ein Sänger muß für mich nicht schön sein, aber mit seinen durchlöcherten Jeans und dem neckigen Tüchlein am Steiß ist er für mich mehr ein Kandidat für den Barbara-Dex-Award. Und wenn er vielseitiger ist als Lena, wie manche schreiben? Es geht doch noch nicht darum, in Oslo ein Anderthalbstundenprogramm als Einmannshow auf die Bühne zu bringen, sondern um ein Lied, ein einziges, drei Minuten, die aus einem Haufen von fünfundzwanzig Liedern herausstechen müssen.
Und Lena hat etwas, das sonst keiner der anderen Kandidaten hat. Sie hat diesen Blick. Man muß eine Frau sein, um diesen Blick zu haben, dunkle Haare, und schwarze Augen. Anne-Marie David hatte den Blick, als sie 1973 mit dem geballten Zorn ihrer Stimme Cliff Richard um den Sieg sang. Und Vânia Fernandes, die im Halbfinale das Publikum zu »Portugal! Portugal!«-Sprechchören gebracht hat, als es um die Öffnung des letzten Umschlags ging. Es ist der Blick, der Sieger macht. Ja, ich mag auch Kerstin Freking, ich höre ihre klare Stimme gern, und natürlich ist sie auch bildhübsch auf diese kristallne, ätherische Art - aber sie ist blond, und ihre Augen sind hell - und so leid es mir tut, damit fehlt ihr der Blick. Dieser unbändige Siegeswille, diese angedeutete Drohung, daß sie dir den Kopf abbeißt, wenn du nicht für sie anrufst, dazu dieser schelmische süße Zug um den Mund...
Deutschland braucht Lena Meyer-Landrut. Jetzt. Sofort. Und in Oslo.